Dienstag, 20. März 2012

Die Sache mit der Wahrheit

Ich kenne hier viele Menschen, die von Grund auf ehrlich sind und gerade heraus das sagen, was sie sich denken. Wie bei uns viele auch sind diese Menschen einem inneren Ethos der Wahrheit verpflichtet. In Mosambik kann auch kritisiert werden – auch wenn die meisten afrikanischen Länder formal demokratisch sind, weiß man das nie so genau, was die Bevölkerung laut sagen darf und was nicht. In Mosambik liebt man die Rede, die auch systemkritisch sein darf. Dies geht zurück auf den Nationalhelden Samora Machel, der erste Präsident und Befreiungsheld Mosambiks, der diese Kunst beherrschte und im Land nach wie vor einen hohen Stellenwert hat.

Andreas sitzt gerade wieder in einem der zweitägigen Conselhos, wo sich diese Liebe zur Rede ebenfalls manifestiert, die in Mosambik manchesmal große Ausdauer von den Zuhören fordert, was aber den Mosambikanern nichts auszumachen scheint.

Aber zurück zur Sache mit der Wahrheit. Für mich häufen sich die Indizien, die zeigen, dass man mit dem Erzählen einer Geschichte in Mosambik weiter kommt, als mit der Wahrheit. Diesen Eindruck bekam ich auch schon bei MULEIDE, doch so richtig greifbar wurde dieses System damals für mich noch nicht, handelte es sich doch nur um eine von vielen Organisationen. Auch Kollegen erzählten von ihren Organisationen und da wurden doch einige Ähnlichkeiten sichtbar. Das Erzählen einer schönen Entwicklungsgeschichte – den darum handelt es sich meistens – geht über all diese kleinen Organisationen hinaus und scheint sich als politische Strategie manifestiert zu haben, eines Landes, dass sich ausschließlich nach außen orientiert und von den internationalen Entwicklungsorganisationen und Staaten ständig Orientierungen und Ziele auferlegt bekommt. Für mich bestätigt sich der Eindruck immer wieder, dass die Regierung und all die Organisationen, die von Geldern der Geberländer profitieren Entwicklung als Buisness betreiben. Echte Entwicklung ist dabei nicht (mehr) relevant. Was zählt sind die Berichte, die als ausreichender Beweis für die internationalen Organisationen, deren Urteil die weiteren Geldflüsse definiert, herhalten.

Hier ergibt sich jedoch eine Riesenkluft zwischen dem was in den Berichten steht und Besuchern erzählt wird und dem was tatsächlich realisiert wurde. Für mich ist es immer wieder bemerkenswert, wie professionell diese Art des Selbstmarketings auf allen Ebenen der Gesellschaft, trotz all der Inkompetenzen, die es in vielen anderen Bereichen gibt, beherrscht wird.

Die Lüge ist scheinbar saloonfähiger, als die Wahrheit. Die internationale Gemeinschaft ist hier Partner und nicht etwa nur unwissender Zuseher, den diese Handlungsmuster können sich nur entwickeln, weil sie gefördert werden, eben weil die internationale Gemeinschaft es sich zur Gewohnheit werden lassen hat, einfach nicht so genau hinzusehen, aber dafür alle Ziele auf den Papier zu erreichen. Und die mosambikanischen Entscheidungsträger erweisen gerne diesen Gefallen durch ihre schönen Geschichten der Entwicklung. Es ergibt sich wie in jedem guten Buisness eine Win-Win-Situation. Alle Beteiligten sind damit zufrieden, betrogen wird das Volk.

Es gibt viele Mosambikaner die sehen die ungesunde Seite dieser Entwicklungen sehr wohl. Felizarda, meine Sprachlehrerin, erzählte mir gestern, wie sie mit diesem Widerspruch in ihrem Alltag als Lehrerin umgeht. Sie unterrichtet in der Segundaria – also die 12 – 18-Jährigen – Englisch und Französisch. Im Jahr 2000 hat man in Mosambik eingeführt, dass alle Kinder bis zur fünften Klasse automatisch Aufsteigen können. Dieses System gibt es jetzt seit ca. 12 Jahren mit der katastrophalen Folge, dass die jüngeren Kinder bis zur fünften Klasse gravierende Defizite entwickeln, weil sie wissen, dass sie ohnehin aufsteigen können. In ihrem ersten Unterrichtsjahr beurteilte Felizarda die damals 10. Klasse nach ihrem realen Lernergebnis, es kamen nur 45 % beim Abschlussexamen durch. Dem Direktor der Schule gegenüber, der die Ergebnisse dem Ministerium gegenüber erklären muss und angehalten ist für die Statistiken schöne Ergebnisse zu liefern, hat sie ehrlich dargelegt, weshalb dieses Ergebnis zustande gekommen ist: die Schüler machen keine Hausübungen, lernen nichts, … schlicht hatten in ihren ersten Unterrichtsjahren gelernt, dass es nicht darauf ankommt in der Schule etwas zu tun. Ihre Kollegen prophezeiten ihr damals, weil sie dies sagte, Probleme mit dem Ministerium. Diese hat sie bis heute nicht bekommen, weil sie die Schüler jetzt verstärkt zu guten Noten motiviert, durch positives Feed-Back stärkt und so engagiert und hart mit ihnen arbeitet (eine Klasse hat immerhin 90 Schüler!), bis sie reale Ergebnisse hat, die auch in die Statistiken passen ohne sie aufputzen zu müssen.

Üblich ist dieses Engagement Felizardas und auch diese Verpflichtung zur Wahrheit nicht. Ihre Kollegen beäugen sie kritisch und folgen ihrem Beispiel nicht, manche halten sie sogar für rebellisch. Üblicher ist, dass zum Schluss von den ganz Schlechten, die etwas weniger Schlechten doch durchgelassen werden, um das richtige Ergebnis zu haben oder was ebenfalls sehr verbreitet ist, diejenigen durch zu lassen, die zur Prüfung noch einen Geldschein dazulegen. So ist ein Schulabschluss bis hin zum Uniabschluss in Mosambik auch käuflich. Die Lüge oder auch Korruption wird schon früh eingeübt und das Nichtstun belohnt. Felizarda bestätigt das, was ich schon länger befürchte: das Bildungssystem in Mosambik ist in einer Krise.


Was tut sich sonst so bei uns in Beira?


Nach diesem Ausflug in die mosambikanische Gesellschaft hier noch ein paar Zeilen über uns:

Der Klimawechsel macht sich auch bei uns bemerkbar. Es ist zwar immer noch heiß, aber bei dem ersten Kältesturz (auf ca. 25 Grad) hat sich Andreas einen Grippevirus eingefangen, mittlerweile voll auskuriert, aber jetzt, wie es so ist, an mich weitergegeben.

Nhica unser Hund wurde das erste Mal von einem Hund aus der Nachbarschaft gebissen, er war so richtig arm und bemitleidenswert. Mittlerweile ist dies aber auch schon wieder zugeheilt.

Letzte Woche musste ich für einen Tag auf eine Konferenz des Erziehungsministeriums nach Maputo fliegen, was eine weitere hochinteressante interkulturelle Erfahrung war. Unter anderem kam heute daher die Inspiration zum oben verfassten Bericht.

Mein Kollege und bisheriger Counterpart, der Koordinator des Departments für Qualitätsmanagement, hat gekündigt. Es gibt wieder eine Neuorientierung. Aber ich mache jetzt auch Workshops für Dozenten zum Methodentraining, die mittlerweile gut laufen.

Ansonsten: Temos Saudades! – Wir haben große Sehnsucht!

Und wir freuen uns auf den Besuch von Mario, der uns Mitte April besuchen wird!


Genießt jeden erfrischenden Frühlingsregen für uns mit!

Ich hoffe es geht euch allen sehr, sehr gut!!!

Ganz viele liebe Grüße,


Iris